„Jeder Rappen zählt“ – Kerzenziehen im Johanneum – Wie alles begann
in Schulort
Vor drei Jahren hat das Johanneum begonnen ein öffentliches Kerzenziehen anzubieten. Im ersten Jahr durften wir den Pferdestall nutzen. Der Aufenthalt im offenen Stall zur Weih-nachtszeit hatte etwas Romantisches an sich, auch wenn keine Krippe darin stand. Kälte und Durchzug im offenen Stall machten uns aber arg zu schaffen. Die „Wienachtsguetsliluft“ aus der Kochschule vermochte auch nicht den Pferdegeruch, der alsbald allen Jacken im Schul-gang entströmte, zu übertrumpfen. Im zweiten Jahr durften wir dann in ein Gewächshaus der Gärtnerei übersiedeln.
Bunte Kerzen von kleinen Händen gezogen
Während zweier Wochen werden wir dort von Schulklassen aus der Umgebung besucht. Frau Fauser, die sonst im Johanneum als Klassenassistentin arbeitet, erklärt allen die Kunst des Kerzenziehens und unterstützt die Schüler beim Dekorieren der Kerzen.
Manche Regelschüler betreten zum ersten Mal diese Welt hinter den Bahngleisen von Neu St. Johann. Wir hoffen, ihnen so ein positives Erlebnis im Zusammenhang mit Menschen mit einer Behinderung zu vermitteln. Von Sonntag zu Sonntag ist das Kerzenziehen öffentlich. Betreut wird es von engagierten Mitarbeitern des Johanneums, die hier Fronarbeit leisten. Bei Kaffee, Punsch und am Wochenende auch bei Suppe und Wienerli treffen sich viele, ziehen Kerzen und unterhalten sich. Die Einnahmen aus dem öffentlichen Kerzenziehen decken in etwa die Materialkosten, die durch die Klassen entstehen. Diesen Publikumsverkehr nutzen wir vom Schulhaus Otmar, um unsere selber hergestellten Produkte am Stand für „Jeder Rappen zählt“ zu verkaufen.
Unterricht mal anders
Unsere Schüler sind auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen. Für einfache Hand-lungen, die ihre Altersgenossen selbständig ausführen, benötigen sie Hilfe. Immer in der Posi-tion des Hilfsbedürftigen zu sein, ist nicht einfach. Die Seite mal zu wechseln und selber an-dere unterstützen zu können, stärkt das Selbstbewusstsein enorm.
Die Produktion der Verkaufsartikel ist bei uns in den Unterricht eingebaut. Mit dem Eintritt in die Oberstufe kommt für unsere Schüler das neue Fach „Arbeitstraining“ mit auf den Stun-denplan. Dabei geht es darum, sich an längere Schultage zu gewöhnen.
Am Beispiel der von uns hergestellten Zündwürfel möchte ich aufzeigen, wie viel Lernpotenzi-al in der Herstellung steckt. Der Anfang des mathematischen Verständnisses beginnt damit, Muster zu erkennen und Dinge sortieren zu können. Auch die Ziffern und Zahlen haben eine feste Ordnung, die es zu erkennen und anzuwenden gilt. Die Wachsabfälle aus dem Kerzen-ziehen sortieren wir, wenn möglich, nach Farben. Aus den einfarbigen Abfällen können wir neue Kerzen giessen, ohne dazu viel teures Material verwenden zu müssen. Die ganz bunten Wachsreste verwenden wir, um aus Eierkartons und Holzwolle Anzünder herzustellen. Dies unterstützt die Entwicklung der Feinmotorik. Diese Anzünder werden in selber gefaltete, ge-klebte und bemalte Papiertüten abgepackt. Aus dem Abpacken ergibt sich eine Zählübung.
Es vereinfacht vieles im Leben, wenn man seinen eigenen Namen schreiben und lesen bzw. erkennen kann. Wenn es Mühe macht, die unterschiedlichen Symbole, die wir Buchstaben nennen, zu unterscheiden, und auch noch in der richtigen Reihenfolge zu schreiben, muss dies unendlich oft geübt werden. Wenn man das nach jahrelanger Übung kann, ist das re-gelmässige Wiederholen wichtig, damit das Erlernte nicht vergessen wird. Die Schüler bestä-tigen mit ihrem Namenszug die Anzahl der Zündwürfel, die sie abgepackt haben. So entsteht das Übungsfeld zu zählen und den eigenen Namen immer wieder zu schreiben. Seinen Na-men nur auf ein Blatt zu schreiben, wird irgendwann langweilig.
Den Erfolg erkennen unsere Schüler nicht anhand der erwirtschafteten Geldsumme, sondern daran, wie viel Gegenstände verkauft wurden. Am ausverkauften Stand ist für sie der Erfolg sichtbar.
Ausflug nach Luzern
Als Highlight für alle ist dann der Ausflug nach Luzern. Vor zwei Jahren fand diese Reise zum ersten Mal statt. Damals entsandten wir nur eine kleine Delegation zum Bundesplatz nach Bern. Im letzten Jahr fuhren wir dann mit allen Otmar Schülern nach Luzern. Unser Weg führte uns direkt zum Spendenschlitz, wo wir gemeinsam voller Freude das Geld einwarfen. Danach vertrieben wir die Zeit mit einer Stadtbesichtigung. Der Spass bei einzelnen hielt sich dabei in Grenzen. In diesem Jahr änderte sich darum unsere Strategie. Auf dem Europaplatz werden jedes Jahr Angebote wie Eislaufen und Guetsliverzieren angeboten. Dabei wird jeder Erlös wie zum Beispiel die Schlittschuhmiete vollumfänglich „Jeder Rappen zählt“ gespendet. So entschied sich eine Gruppe fürs Schlittschuhlaufen und eine andere Gruppe fürs Verzieren von kleinen Küchlein. Man kann sich vorstellen, dass die Schüler daran mehr Spass fanden als an einer Stadtbesichtigung. Dass solche Aktivitäten Hunger machen, ist verständlich. So gönnte sich die ganze Truppe eine Suppe oder ein Raclettebrot. Frisch gestärkt und voller Vorfreude spazierten dann alle Schüler zum Spendenschlitz, wo sie mit viel Freude die erwirt-schaftete Summe von über 850 Franken in den Schlitz warfen. Leider wählten sie den fal-schen Zeitpunkt. Auf SRF2 werden während dieser Zeit Liveaufnahmen in längeren Frequen-zen übertragen. Aber just zu dem Zeitpunkt, als unsere Schüler das Geld einwarfen, wurde die Übertragung mit Werbung und dem darauffolgenden Skirennen unterbrochen. Fürs nächste Jahr: Auch wir Lehrer, Lehrerinnen und Betreuer lernen nie aus. Wir werden das nächste Jahr das Fernsehprogramm vorgängig gut studieren. Und für unsere Schüler wird es eine Motivation sein: Wir kommen im Fernsehen.
An dieser Stelle wünscht das ganze Johanneum ein gutes neues Jahr und hebäd eu Sorg.
Sus Jacob, Heilpädagogin Schule Otmar